Dr. Petra Streng

Trachtler Nr. 166 Jahrgang 48 Frühjahr 2021

 

Wider den plagenden Seuchen

Ein leider aktueller Rückblick in die Kulturgeschichte

 

Die derzeitige und wohl noch länger wirkende Pandemie hinterlässt Spuren:

Spuren im Alltagsleben, im gesellschaftlichen Miteinander, in der Arbeitswelt und u.a. auch in Bräuchen. Einschränkungen sind angesagt, Schutz in jeglicher Form gesucht, auch wenn manches bizarr, unverständlich anmutet. Wie geht man damit um, können wir aus der Geschichte lernen? - wohl kaum. Was uns heute kurios, unfassbar erscheint hat aber historische „Vorbilder“. Man denke nur an die grassierende Pest früherer Jahrhunderte. Wir hatten und haben wie die Redensart besagt „Die Pest (nun eben Corona) am Hals“. In vergangenen Zeiten hat man jede sich rasch ausdehnende und ansteckende Seuche als Pest bezeichnet – die medizinischen Erkenntnisse waren einfach nicht so weit. Was wir heute als Virus bezeichnen und ausfindig gemacht haben, war schon bei den Römern bekannt. Nur sprach man damals von Tierchen, die „mit der Luft durch den Mund und Nase in den Organismus gelangen und dort schwere Infekte erzeugen“. (Karger-Decker, 248)

 

Der wohlmeinende Schutz vor dieser Plage war damals wie heute sich selbst mit einem Mundtuch oder einer Mundmaske abzusichern. Bilder eines Pestarztes (bekannt sind die Schnabelmasken, nicht zuletzt vom Karneval in Venedig) sind doch wohl leicht vergleichbar mit unseren derzeitigen FFP2-Masken. Fakt ist, dass diese Ärzte, aber auch Klosterbrüder und andere ein großes Risiko eingegangen sind. Ihrem Wirken (und auch Gedenken) als Dank und offensichtlicher Hinweis auf die dann bezwungene Seuche hat man Pestsäulen mit Heiligenfiguren und Sprüchen errichten lassen. Vielleicht entstehen in einiger Zeit auch Erinnerungs- oder Mahnmal-Denkmäler, nur eben nun als Corona-Säulen betitelt...

 

Wie hat man sich aber früher zudem schützen wollen? Neben möglichen Hygienemaßnahmen wandte man sich dem Glauben zu – einem Glauben, der von Traditionen, kirchlichen Hilfestellungen aber auch von magischen Vorstellungen geprägt war. Allen voran waren es Schutzamulette wie Breverln, kleine verpackte Briefchen, die man unter das Kopfkissen oder um den Hals legte. Unter einer Hülle aus Stoff waren hier kleine Papier- oder Pergamentblättchen mit Heiligendarstellungen und Segenssprüchen. Noch effizienter sollten sogenannte Schluckbildchen wirken: kleine – briefmarkengroße – Papierstücke mit Heiligenabbildungen konnten nach Bedarf ganz einfach geschluckt werden. Geschadet dürfte dies wohl niemanden haben. Eine Seuche macht meist keinen Unterschied zwischen arm und reich und daher waren gesellschaftliche Optionen auch gemeinschaftliche Prozessionen. Man pilgerte zu ausgewählten Gnadenstätten, meist zu nahegelegen Wallfahrtsorten oder zu bestimmten Heiligen. Bestimmte Heilige waren ja aus ihrer Legendenbeschreibung geradezu prädestiniert als Heilbringer: u.a. meist angeführt die Muttergottes, die Heiligen Sebastian, Rochus, Maria Magdalena (wegen dem Salbgefäß), Leonhard u.v.m. (vor allem diejenigen mit lokaler Tradition).

 

Als konkretes Beispiel einer Heiligenverehrung in Seuchenzeiten sei hier der Hl. Sebastian genauer angeführt. Das Martyrium des Heiligen besagt, dass er mit Pfeilen durchbohrt zum Tode gebracht worden sei. In der Volksmedizin und im Volksglauben hat man dies auf plötzlich auftretende Seuchen übertragen: So plötzlich wie einem ein Pfeil trifft, soll auch die Krankheit auftreten. Gemeint ist damit die sogenannte Projektilerklärung – ein im übertragenen Sinne abgeschossener Pfeil trifft den Mensch mit Krankheit. Man denke hierbei auch noch weiter, denn der Volksglauben ist flexibel: Der Hexenschuss soll – so die überlieferte Meinung – von einem übelwollenden Menschen (sic. Hexe) herrühren…

Nun haben wir die Corona-Seuche und die Bezeichnung kommt von einer Heiligen. Nach Überlieferungen war sie eine frühchristliche Märtyrerin, die sich zum Christentum bekehrte. Vor ihrer Hinrichtung soll sie noch gesagt haben: „Ich werde Corona genannt und du möchtest mich überreden, meine Krone (corona) zu verlieren?“ (wikipedia) - also dem Glauben abschwören. Eigentlich war ihr Zuständigkeitsbereich die Schatzsuche (siehe ihre Darstellung mit Krone), doch dieser hat sich auf Seuchen (egal ob Mensch oder Tier) im Laufe der Zeit erweitert. Quasi ganz unschuldig kam ihr Name (und steht synonym) heute in Verbindung mit der SARS-CoV-2 Bezeichnung – denn gleich einer Krone erscheinen die Viren unter dem Mikroskop kronenartig. Ganz aktuell kann man schon verschiedene Corona-Litaneien nachweisen, die als Gebete und Fürbitten im Rahmen der aktuellen Seuchensituation dienen. Im heutigen Umgang mit dieser Krankheit heißt es immer wieder: Frischluft suchen. In Pestzeiten hingegen schloss man die Fenster und verwendete Rauch als Schutzschild. Vielleicht war es auch die Zunft der Fassbinder, die bei ihren Umzug mit brennenden Fackeln und dem Rauch ein eigenes Desinfektionsmittel anwandten...

 

Fakt ist, dass wir heute unseren Alltag und Feste einschränken müssen – auch die Trachtler und Trachtlerinnen sind davon betroffen. Es wiederholt sich die Geschichte. Von der Pestzeit 1611 wird gesagt: „Alle vermieden den Umgang mit den Nachbarn nach Möglichkeit und gingen einander scheu aus dem Wege.“ (Grissemann, 167).

Wir können nur hoffen, dass dieser Zustand bald ein positives Ende findet. Damit ein geselliges Miteinander wieder möglich ist.

 

Hl. Sebastian, 15. Jhdt., Pfarre Kirchberg (Augustinermuseum Rattenberg),

Foto: Augustinermuseum Rattenberg

 

Literatur:

- Bakay, G./Streng, P., Tiroler Wettergeschichten, Innsbruck 2000
- Grissemann, Hans, Aus alter Zeit, Innsbruck 1931
- Karger-Decker, Bernt, Die Geschichte der Medizin von der Antike bis zu Gegenwart, Düsseldorf 2001
- Valentinitsch, Helfried, Hexen und Zauberer, Graz 1987
 - www.de.wikipedia.org/wiki/Corona_(Heilige)
- Dank an Reinhold Steiner für den Hinweis auf die Publikation von Hans Grissemann