Dr. Petra Streng

Trachtler Nr. 170  Jahrgang 49 Frühjahr 2022

 

Bilder und Symbole auf der Haut – oder kulturgeschichtliche Einblicke in die Welt des Tätowierens 

Alte Vorlagen für Tattoos, Foto/Bild: aus: Johannes Fabricius, Alchemy, London 1989
Alte Vorlagen für Tattoos, Foto/Bild: aus: Johannes Fabricius, Alchemy, London 1989

Die Oberfläche des menschlichen Körpers kann auch Leinwand sein, eine Leinwand für Ideen, Haltungen, Werte. Und man treibt diese in die Haut ein. Die Rede ist vom Tätowieren, der in der heutigen Zeit kaum mehr ein „modischer“ Körper entkommen zu sein scheint. Je mehr die Menschen zur Fassade zu verkommen drohen, desto erpichter sind sie augenscheinlich auf individuelle Unverwechselbarkeit. Das Tattoo wird zum Barcode, der an der Supermarktkasse des Lebens abgelesen werden soll…

Eine modische Erscheinung vielleicht in der Breitenwirkung – doch viele Jahrhunderte schon bediente sich man dieser Kunstart. Ja, es soll ja schon der Mann vom Hauslabjoch ein Tattoo getragen haben. Also ein kulturgeschichtliches Phänomen, das auch mit Kult und Religion zu tun hat. Und auch im Christentum seine Spuren hinterlassen hat.

Der Mystiker Heinrich von Seuse (1295 oder 1297-1366) ließ sich etwa als unauslöschliches Glaubensbekenntnis ein IHS über der Herzgegend tätowieren.

 

Alte Vorlagen für Tattoos, Foto/Bild: aus: Johannes Fabricius, Alchemy, London 1989
Alte Vorlagen für Tattoos, Foto/Bild: aus: Johannes Fabricius, Alchemy, London 1989

Es waren aber vor allem die Kreuzzüge, die für eine weite Verbreitung des Tätowierens sorgten. Viele der ausziehenden Ritter versahen sich mit Symbolen, allen voran dem Kreuz, um ihre ernste Verbundenheit mit ihrem Glauben zu markieren. Zugleich sollte diese augenscheinliche Darstellung auch eine gewisse Schutzfunktion garantieren. In einem Reisebericht aus dem 17. Jahrhundert heißt es etwa, dass sich Jerusalempilger das Zeichen des Hl. Grabes in den Arm tätowieren: „Dieses thun die Pilgramb dess heiligen Grabs der vrsachen halber, dass wann einer den Türcken auff dem Meer gefangen solt werden, seynd diesselben schuldig, den jenigen wider frey zu lassen, welcher diese Zeichen hat.“ Ob sich dies nun als probater Schutz  herausstellte, bleibt in historischen Quellen unerwähnt. Aber nicht nur Symbole wurden eingeritzt, ja selbst flächige Bilder waren die Folge. So schrieb der Hamburger Adelige Otto von Gröben 1669, dass er sich in Jerusalem die Kreuzigung, das Grab, die Grablegung, die Auferstehung, die Himmelfahrt Christi, die Grabeskirche und die Wappen Jerusalems auf die Arme hat tätowieren lassen. Die religiöse Heilsgeschichte eben in Form einer flächigen Bildfolge. Die Gläubigen kleideten sich also in Bilder wie seinerzeit die Ritter in ihre Rüstungen. Mit dem kleinen Unterschied, dass man das Bilder-Kleid nicht mehr ausziehen konnte. Aber auch von Wallfahrtsstätten (wie etwa in Loretto) ist bekannt, dass Pilger sich das jeweilige Gnadenbild tätowieren ließen. Die heilsame Energie des oder der Heiligen sollte so quasi gespeichert werden und durch das ganze Leben die Heilswirksamkeit garantieren.

 

„Nandl, die fesche Tirolerin“, Bild um 1910 Bild: Privat
„Nandl, die fesche Tirolerin“, Bild um 1910 Bild: Privat

Aber auch von Wallfahrtsstätten (wie etwa in Loretto) ist bekannt, dass Pilger sich das jeweilige Gnadenbild tätowieren ließen. Die heilsame Energie des oder der Heiligen sollte so quasi gespeichert werden und durch das ganze Leben die Heilswirksamkeit garantieren.

Neben religiösen Aspekten hat das Tätowieren auch gemeine, weltliche Hintergründe. Man denke nur an die Seefahrer, die mit ihren Ankern oder ähnlichen Symbolen ihre Zugehörigkeit zu einem Berufsstand darstellten. Und sich ganz nebenbei der Stärke in ihrem umtriebigen Leben stellten und auch nach außen zeigten. Auch von Gefängnisinsassen kennt man diesen Brauch: Man zeigte Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und wohl auch ein gewisses Selbstverständnis zur eigenen Person. Das Tätowieren kann aber auch als Brandmarkung mit der öffentlichen Zurschaustellung, als Bestrafung resultieren. Man denke nur an die Prostituierten im Mittelalter (und wohl leider auch in späterer Zeit), denen man das Symbol des „Freiwildes“, in die Haut ritzte oder brannte. Und diese historischen Phänomene haben auch ihren Niederschlag in modernen Filmen gefunden. Beispielhaft sei hier der Klassiker vom Regisseur Quentin Tarantino angeführt, der in seinem Film „Inglourious Basterds“ (2009) sich dieser Brandmarkung bedient. Eine Gruppe von „Widerstandskämpfern“ (unter ihnen als Darsteller Brad Pitt) bekämpft die nationalsozialistischen Schergen (auch sehr brutal) und „markiert“ die Schuldigen mit einem eingestochenen, geritzten und unübersehbaren Hakenkreuz auf der Stirn.

 

Bild: Manitoo Tattoos Innsbruck
Bild: Manitoo Tattoos Innsbruck

In unserer Zeit hat das Tätowieren – Gott sei Dank – einen anderen Charakter, eben individuelle Kunst am Körper. Und die Mode lässt auch hier, wie in anderen kulturellen Phänomenen, grüßen. Nicht lange ist es her, dass mit den sogenannten Arschgeweihs ein wahrer Boom an Tattoos im unteren Rückenbereich Furore machte.  Einige davon werden dies nach einer gewissen Zeit vielleicht bereuen, es bleibt halt erhalten und ist eigentlich so gar kein Unikat. Ebenso wie Namen oder Porträts der Freundin, die kunstvoll in die Haut gestochen, nicht mehr aktuell sind. Die Freundin ist Geschichte, was bleibt ist eine bildliche Erinnerung. Und die kann man vielleicht abändern (etwas mit den Gesichtszügen oder Initialen der neuen Geliebten bzw. anderen Verfremdungen) oder ganz einfach (schmerzhaft) wegretuschieren. Dies freut vor allem die Hautärzte. De facto sind in unserer Gesellschaft Tattoos nicht mehr wegzudenken. Sie sind sowohl Mainstream als auch Zeichen der Individualität – auch wenn sich die Bilder und Symbole ähneln. Bei manchen Tattooträgern erzählen die Darstellungen und Texte auch Lebensgeschichten bzw. sind Hinweise darauf, dass man nonkonform sein will, eine gewisse Form, öffentlich das Ich zu präsentieren. Und auch unter so mancher Lederhose und unter so manchem wallenden Trachtenrock „verbergen“ sich mehr oder weniger, ganz persönliche Wertvorstellungen. Die kann man nun goutieren  oder nicht. Jedes Tattoo ist (hoffentlich) eine persönliche Entscheidung und ist zu respektieren. Der Körperkult betrifft uns alle: Sei es nun das Färben der Haare, das wahre oder vermeintliche ideale Körpergewicht, das Piercing oder permanente Schönheitskorrekturen. Aus den historischen Quellen wissen wir – es gab und gibt Kunst am Bau, in Räumen, die immer wieder neuen Ideen zugetan waren, sie aufnahmen, aber auch wieder ablegten. Warum nicht auch im ganz individuellen Bereich – dem eigenen Körper.

Oder um es mit dem Theaterstück von William Shakespeare zu formulieren „Wie es euch gefällt…(um 1599).

 Literatur:

  • Orientalische Reise-Beschreibung, des brandenburgischen Pilgers Otto Friedrich von der Gröben: Nebst d. Brandenburgischen Schifffahrt nach Guinea und der Verrichtung zu Morea, unter ihrem Titel. Reiniger, Marienwerder 1694. Ein Nachdruck erschien 2013 mit einem Vorwort von Ulrich van der Heyden, Hildesheim, Zürich, New York
  • Kurt Ruh, Geschichte der abendländischen Mystik, Band 3: Die Mystik des deutschen Predigerordens und ihre Grundlegung durch die Hochscholastik. München 1996; S. 415–475
  • Gunter Bakay, Petra Streng, Die Kunst zu Glauben – oder was Bilder für die Gesundheit und das Seelenheil tun können, Vortrag (Innsbruck, 1997)