Dr. Petra Streng

Trachtler Nr. 177 Jahrgang 50 Winter 2023

 

„Frauen“jagd – Mythen und Geschichte(n) über wilde Frauen im Alpenraum

Modernes Votivbild; gefertigt nach einer Reise in die Mongolei, Bild: privat
Modernes Votivbild; gefertigt nach einer Reise in die Mongolei, Bild: privat

Frau und Jagd – ein (beinahe) unerschöpfliches Thema. Man kann sich dieser Thematik ganz unterschiedlich annähern. Ich beschränke mich hier ganz einfach auf kulturgeschichtliche Phänomene. Ganz am Rande und salopp formuliert: Stand November 2023 fanden sich unter dem Stichwort Frauenjagd bei google ca. 30.600 Einträge. Wenn man kulturgeschichtlich sich dem Thema Frau und Jagd nähert kann man eines eindeutig feststellen – es gibt entweder eine mythische Überhöhung oder eine mythische Erniedrigung. Ich betone noch einmal – ich spreche hier nicht von gegenwärtigen Anschauungen, obwohl so manche Einstellung gegenüber Frauen ein Spiegelbild der Vergangenheit darstellt. „1870 sah Wilhelmine von Hillern in einem Innsbrucker Laden das Selbstportrait von Anna Stainer-Knittel, welches sie bei einem Abenteuer, das sie mit 17 Jahren erlebte, zeigt. Damals hatte Anna Steiner-Knittel an einem Seil hängend einen Adlerhorst an einer Felswand ausgenommen, was zum Schutz von Schafherden zwar üblich, jedoch eigentlich eine Arbeit der Männer war. Da diese nach einem nur knapp verhinderten Unglück im Vorjahr dies jedoch verweigerten, musste Anna Steiner-Knittels Einsatz umso wagemutiger erscheinen. Wilhelmine von Hillern begab sich daraufhin nach Elbigenalp, dem Heimatort von Anna Stainer-Knittel, und erkundigte sich dort über das, was man von dieser Frau wusste. Wilhelmine von Hillern schuf aus dem tatsächlichen Ereignis einen dramatischen Heimatroman, in der die weibliche Hauptfigur, welche den Namen "Walburga Stromminger" erhielt, sich den Konventionen der Weiblichkeit verweigert und als Wildfang in raue Natur verstoßen ihre Jugend verlebt.

 

Schatulle mit "volksmedizinischem" Hirschwasser (=Augenwasser) und hölzerne Schutzperlen, Bild: privat
Schatulle mit "volksmedizinischem" Hirschwasser (=Augenwasser) und hölzerne Schutzperlen, Bild: privat

Der Roman wurde schon kurz nach Erscheinen in Buchform in acht Sprachen übersetzt (heute sind es 11 Sprachen und war nach dem Deutsch-Französischen Krieg (1870/71) der erste deutsche Roman, der in Frankreich in der Revue de deux Mondes im Auszug und später bei Hachette übersetzt erschien (unter dem Titel La fille au Vautour). Wilhelmine von Hillern schrieb nach ihrem Roman 1880 ein gleichnamiges Theaterstück, das ab 1881 an zahlreichen deutschen Bühnen aufgeführt wurde. Theodor Fontane sah das Stück am 8. Oktober 1881 in Berlin. In seiner ausführlichen Besprechung lobte er, dass darin „richtige Menschen das Richtige sagen und das Richtige tun, und dies Richtige tun zu richtiger Zeit und am richtigen Ort“, betont jedoch zudem, dass das Stück „mehr in die Reihe der Kometen als in die der Dauer-Sterne gestellt werden sollte“. Später stellte er die Vorzüge der Geierwally im Vergleich zum Theaterstück Des Meeres und der Liebe Wellen von Franz Grillparzer gegenüber. Hierbei befand er ersteres wegen seiner „dramatischen Potenz“ für überlegen.“ (zit. Wikipedia)

 

 Im 20. Jahrhundert wurde der Stoff auf der Grundlage Wilhelmine von Hillerns Romans mehrfach verfilmt:

  • 1921: Erste Verfilmung[3] des Romans, Regisseur war Ewald André Dupont, Henny Porten als Tochter Wally
  • 1940: Zweite Verfilmung[4] von Hans Steinhoff, mit der Schauspielerin Heidemarie Hatheyer als Protagonistin
  • 1956: Dritte Verfilmung[5] von František Čáp, mit Hauptdarstellerin Barbara Rütting und als Leander Siegfried Rauch
  • 1967: Vierte Verfilmung[6] von Gretl Löwinger, mit Sissy Löwinger als Geierwally
  • 1988: Walter Bockmayers Geierwally[7], eine Parodie auf den Roman – unter Mitwirkung von Joy Fleming (Song), Ralph Morgenstern,               Samy Orfgen (Hauptrolle), Elisabeth Volkmann und Veronica Ferres u. v. a.
  • 2005: Eine moderne Fernsehproduktion[8] mit der Schauspielerin Christine Neubauer als Wally Flender und Siegfried Rauch als Franz Flender wurde 2005 von der ARD gesendet
Sogenannte Langtüttin (Wilde Frau);- mit ihren langen Brüsten soll sie - so der Volksglauben - männliche Jäger erschreckt haben, Bild: privat
Sogenannte Langtüttin (Wilde Frau);- mit ihren langen Brüsten soll sie - so der Volksglauben - männliche Jäger erschreckt haben, Bild: privat

Von einer eigentlichen Jägerin ist hier nicht die Rede – eher von einer Art Wildhüterin. Aber der Nimbus der wilden Frau – die sich widersetzt – und zur Rebellin wird, bleibt bestehen. Auch wenn die Realität etwas anderes besagt. Verkannt als Künstlerin, überhöht als „wilde“ Frau....

Etwas anders verhält es sich mit Elisabeth Lackner (1845-1921) aus dem hinteren Zillertal, genannt Flötenschlagstaude. Sie „wilderte“ oder jagte, weil ihr Mann früh starb und sie neun Kindern zu ernähren hatte. Sie war sozusagen amtsbekannt, doch es kam nie zu einer Verurteilung. Sie entsprach – auch wenn es Jägerinnen vielleicht nicht gerne hören – einer positiven Jagderscheinung – die überhöht im Sinne der sozialen Komponente wurde.

 

Historisch belegt – wenn auch nicht allg. bekannt namentlich – sind auch Sennerinnen, die auf zweifache Art und Weise mit der Jagd verbunden waren. Sie jagten aus Not (vielleicht manchmal auch aus Lust) bzw. hatten sie engen Kontakt mit Jägern und Wilderern. Dies entspricht dem Phänomen der „sozialen“ Abgeschiedenheit ( = Freiraum vom Dorfleben ohne soziale Kontrolle).

 

 

 Fern ab der Historie, aber doch in der Volksglaubenswelt verankert sind wilde Frauen in Verbindung mit Jagd in Mythen und Erzählungen:

  • Wilde Frauen (= Salige): sie stehen den Menschen hilfreich zur Seite (v.a. Jägern); helfen bei der Jagd – aber die Geschichten sind stets mit einem Tabu verbunden (siehe Einhalten des Feiertages, kein Berühren der weiblichen Haare)
  • Gut stellt man sich mit ihr, wenn man ihr einen Kuchen hinterlegt...
  • Langtüttin als „sexuelle“ Schreckgestalt
  • Wilde Jagd mit Frau Percht als Führerin (in den Volksglaubensvorstellungen und Brauchtum verankert mit dem Perchtenglauben)
  • Wegen Leidenschaftlichkeit und Sonntagsentheiligung muss eine Jägerin bis zum jüngsten Tag geistern

  Andere Volksglaubensvorstellungen:

  • abstecken des Reviers mit dem Hemdteil einer menstruierenden Jungfrau
  • beim Gang zur Jagd keiner alten Frau begegnen
  •  günstig: Anblick eines jungen Mädchens
  • Möglichkeit beim Anblick einer alten Frau: heimgehen, 3mal auf die Schwelle spuken
  • Verbot, das Gewehr neben einer Küchenschürze oder einen Besenstiel zu hängen
  • Die Frau darf dem Jagdhund nicht mit der Schürze über die Schnauze wischen
  • Jäger sollte keiner Wöchnerin begegnen
  • Jäger hilft Säugling beim Zahnen, wenn er mit dem rechten Vorderfinger (= Ausweiden des Tieres) der rechten Hand das Zahnfleisch betastet

 Jagd – Volksmedizin – Esoterik

  • Phänomen, dass vor allem Frauen sich der Hilfsmittel von Jagdtrophäen bzw. Jagdutensilien bedienten (und diese in vielfältiger Weise verarbeiteten)

Die moderne Esoterik scheut sich auch nicht davor, diese alten Praktiken und Vorstellungen in ein modernes Gewand zu verpacken.

Und es ist kein Jägerlatein, dass Frauen in und rund um die Jagd ihre Daseinsberechtigung haben – vielfältig wie die jahrhundertelange Kulturgeschichte(n) beweisen.